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Moto Guzzi

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Wie in kaum einer anderen Region der Welt ist das italienische Voralpenland zwischen Turin und Bologna von Kreativität und Erfindungsreichtum im Fahrzeugbau geprägt. Das Land der Motoren brachte zahllose von der Kraft stampfender Maschinen faszinierter Tüftler und Unternehmer hervor, die selbst eine Marke gründeten und mit ihren Maschinen und Fahrzeugen die Menschen südlich der Alpen und oft auch weit darüber hinaus mobil machten. Zu den Ikonen dieser Region zählt auch der Motorradhersteller Moto Guzzi mit seiner wechselvollen und mittlerweile 100 Jahre währenden Geschichte. In dem kleinen Ort Mandello, am östlichen Südzipfel des Comer Sees gelegen, nahm die Kultmarke ihren bescheidenen Anfang und baut noch heute dort Motorräder, die für viele Biker Faszinosum und Mythos sind.

Ursprünglich waren es drei aus gemeinsamen Zeiten bei der Königlichen Luftwaffe befreundete Männer, die nach dem Ersten Weltkrieg ihre eigene Motorradmarke gründen wollten. Giovanni Ravelli verunglückte jedoch im Sommer 1919 bei einem Testflug. Um an sein Schicksal zu erinnern, wurde ein Adler mit ausgebreiteten Schwingen für die im März 1921 vom Flugzeugtechniker Carlo Guzzi und Giorgio Parodi zum Bau und Verkauf von Motorrädern gegründete Firma Moto Guzzi als Firmenzeichen gewählt.

Zu ersten Höhenflügen schwang sich der stolze Greifer bereits in den 20er-Jahren auf. Erstes Guzzi-Modell war die Normale – ein 500-ccm-Eintopf mit rund 6 kW/8 PS Leistung, mit dem das 130 Kilogramm Leichtgewicht mehr als 80 km/h erreichte. Während im ersten Jahr lediglich 17 Exemplare ihren Weg zu Kunden fanden, beflügelten schon bald Siege im Motorsport die Nachfrage. Für den kommerziellen Erfolg legte 1924 Guzzis CV4 mit dem Gewinn der 500-ccm-Europameisterschaft den Grundstein. Im folgenden Jahr wuchs die Belegschaft in Mandello auf über 300 Mitarbeiter, denn der 1923 eingeführte Normale-Nachfolger Sport mit schon 10 kW/13 PS verkaufte sich in diesem Jahr bereits rund 1.200 Mal.

In den 30er-Jahren folgten einige weitere Einzylinder-Modelle sowie mit der Tre Cilindri eines der ersten in Serie produzierten Dreizylinder-Motorräder überhaupt. Doch wesentlich erfolgreicher war Moto Guzzi mit einfachen und günstigen Krädern wie der 1939 eingeführten Airone 250 mit liegendem Single, die erst 1957 endgültig eingestellt wurde.

Nach dem zweiten Weltkrieg folgten weitere Zweiräder mit einfachen Einzylinder-Motoren und sogar Motorroller wie die 1950 eingeführte Galetto 160, die in hubraumstärkeren Varianten noch bis 1966 gebaut wurde. Ein Meilenstein war die von 1950 bis 1967 produzierte Falcone mit 17 kW/23 PS starkem Single. In den frühen 50er-Jahren engagierte sich Moto Guzzi mit zwischenzeitlich sogar durchschlagendem Erfolg im Motorsport. 1956 bauten die Italiener unter anderem das erste und bis heute einzige Motorrad mit V8-Motor, das bei einer WM eingesetzt wurde. Die im Windkanal aerodynamisch optimierte Otto Cilindri schaffte stolze 285 km/h. 1957 holten die Italiener zudem den WM-Titel in der 350er-Klasse.

Als nach dem Tod des Gründers Giorgio Parodi im Jahr 1955 dessen Bruder Enrico die Führung bei Moto Guzzi übernahm, stoppte dieser ab 1957 alle Motorsportaktivitäten und Motorenentwicklungen, was mit langer Verzögerung den Durchbruch für den eigentlichen Kern der Marke Moto Guzzi ebnete: den legendären V2-Motor. Der vom Entwicklungsingenieur Giulio Carcano und dem bereits im Ruhestand befindlichen Carlo Guzzi entwickelte V2 hätte Dreiräder, Autos oder Fahrzeuge für Heer und Polizei antreiben sollen. Doch erst als 1964 Italiens Polizia Stradale den Auftrag für ein schweres Motorrad ausschrieb, konnte Carcano ein entsprechendes Modell auf Basis seines V2 entwickeln.Anzeige

Anschließend folgten bei Moto Guzzi Rosenkrieg, Konkurs und Neustart in einer staatlich-kontrollierten Holding und kurze Zeit später die Serienproduktion von bis zu 32 kW/43 PS starken V2-Modellen zunächst für Behörden und Militär sowie ab 1967 in einer zivilen Version. Der V2-Motor war zwar kein Geniestreich, der mit Hightech-Lösungen oder extremer Leistung begeisterte. Vielmehr handelte es sich um ein solides und robustes Arbeitstier für den Alltagseinsatz. Was ihn zum Kult machte, war sein Charakter. Sein Schnaufen und Röcheln, seine wildes Schwingen nach links und rechts oder der markante Klang aus langen Auspuffrohren, der viele Biker in seinen Bann zog.  

Zu den legendären V2-Varianten der späten 60er- und frühen 70er-Jahre zählen die V7 Special, die für die Polizei von Los Angeles entwickelte California sowie mit 46 kW/62 PS für damalige Verhältnisse schnelle und noch heute von Guzzi-Fans ikonisch verehrte V7 Sport (71-74), bei der zudem erstmals ein neukonstruierter Doppelschleifenrahmen zum Einsatz kam, der noch bis weit ins neue Jahrtausend hinein gebaut wurde.

Obwohl mit 46.487 produzierten Motorrädern 1971 für Moto Guzzi zum erfolgreichsten Jahr seiner Geschichte wurde, befand sich das Unternehmen bereits seit Ende der 60er-Jahre in finanzieller Schieflage. 1972 übernahm der Unternehmer Alejandro de Tomaso die Kontrolle und führte den Motorradbauer zurück in die Gewinnzone. Unter seiner Ägide blieb der quereingebaute und luftgekühlte V2 mit Kardanantrieb technischer Kern einer ausufernden Familie von Cruisern, Sportlern, Tourern und Enduros mit teilweise viel und in manchen Fällen auch wenig Hubraum. Einige Guzzis waren damit halbwegs erfolgreich unterwegs, viele jedoch floppten. In innovative Technik wurde in jener Zeit wenig investiert. Gegen die schnellen, günstigen und technisch immer anspruchsvoller werdenden Japaner hatten die V2-Maschinen aus Mandello wie auch Motorräder vieler anderer italienischer Zweiradmarken einen zunehmend schweren Stand. Im Jahr 1993 wurden im Traditionswerk am Comer See nur noch knapp über 3.000 Moto Guzzi gebaut – ein historischer Tiefstand.Anzeige

Eine erneute Rettung kam mit Ivano Beggio, der seit den 60er-Jahren Aprilia zu einer Größe am Zweiradmarkt aufbaute und dann im Jahr 2000 neben Laverda auch Moto Guzzi übernahm und sanierte. Mit der Eingliederung in den Aprilia-Konzern und der Einführung der V11 Sport kam wieder frischer Wind unter die angestaubten Flügel des Adlers. Der kleine Höhenflug währte jedoch nicht lange, denn bald kämpfte auch das Aprilia-Konglomerat ums Überleben. Mit dem Kauf von Moto Guzzi hatte sich Beggio übernommen. Den angeschlagenen Konzern schluckte 2004 der Zweiradriese Piaggio.

Seither beeindruckte Moto Guzzi mit einer Reihe spektakulärer Neuheiten, die alle auf dem alten V2-Prinzip basierten und mit ihrer Mischung aus Tradition und Moderne so manchen von der Marke enttäuschten Fan aufs Neue begeisterten. Progressive, designlastige Maschinen wie die Griso 1100, die Centauro V10 oder die MGS-01 Corsa verliehen dem Traditionshersteller neuen Glanz. Zugleich wurden Ikonen wie die California modernisiert oder andere wie die V7 Sport als schicke und moderne Retro-Bikes neu aufgelegt.

Zwischenzeitlich hat sich die Marke deutlich erholen können, doch für einen nachhaltigen Durchbruch, wie ihn etwa KTM seit den 90er-Jahren erlebte, hat es bislang nicht gereicht. Ein großer Hoffnungsträger ist immerhin die 2019 eingeführte Reiseenduro V85TT, die mit moderner Technik, guten Fahreigenschaften und einem moderaten Preis punktet und sich für Guzzi-Verhältnisse sogar gut verkauft. Auch sie bietet den besonderen Guzzi-Kultfaktor – einen stampfenden V2. Dass die Marke aus Mandello damit ungebrochen große Strahlkraft bietet, zeigt sich an den vielen Fans, die jedes Jahr im Herbst an den Comer See pilgern, um dort die hochbetagte Marke zu feiern. In Jahr 2021 findet in Mandello del Lario, am Stammsitz von Moto Guzzi, die ultimative Feier zum 100. Geburtstag vom 10. bis 12. September statt.

Beitrag aus “Die Welt” 2021

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